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4.6.4 Infodumps

Eine gute Geschichte hat viele Dinge:

  • Figuren mit einem ausgearbeiteten Hintergrund
  • vorausgegangene Ereignisse
  • Umstände, die von besonderer Bedeutung für die Handlung sind
  • Ausblicke, Hoffnungen und Träume der Figuren
  • historische Hintergründe (Historienromane)
  • Motive, Affekte, Familiensituationen (Krimis)
  • politische oder wirtschaftliche Konflikte (Thriller)
  • Magiesysteme, Weltenaufbau, Rassen (Fantasy)
  • Technologien (Science-Fiction)

Besonders am Anfang von Geschichten ist die Versuchung groß, zu viel davon in zu kurzer Zeit dem Leser vermitteln zu wollen.  Das Anliegen, so möglichst schnell ein valides Bild auf die Gesamtsituation zu erzeugen, führt dann dazu, dass man Fakten auflistet, die sich wie ein Lehrbuch lesen.  So etwas wird Infodump genannt:

Die Prozession zog gemächlich durch die Straßen von Ral-Sing. An ihrer Spitze trugen die Adepten lange Stangen, an denen Fahnen mit den Wappen der verschiedenen Häuser der Magie hingen. In der Mitte prangte das Symbol des Hauses Kronoch, das seit Jahrtausenden den Vorsitz der Häuser innehatte.

Dieser Vorsitz wurde alle zehn Jahre neu in der Ratsversammlung gewählt und bot Gelegenheit, den immerwährenden Zwist unter den Häusern neu auszufechten. Doch am Ende war bisher immer wieder Haus Kronoch zum Vorsitz gewählt worden, was auch damit zusammenhing, dass das vorsitzende Haus die Auszählung nach der Wahl durchführte. Jedem war klar, dass Kronoch ruchlos genug war, dabei jedes Mal zu betrügen, doch keins der anderen Häuser war stark genug, sich gegen diese Wahlmanipulation zu wehren. Und so blieb der Vorsitz schließlich zementiert. Niemand glaubte mehr wirklich an eine Änderung des Status quo.

Der Leser ist zu Beginn einer Erzählung nicht unbedingt interessiert an den Wahlmodalitäten eines ihm noch nicht einmal bekannten Hauses der Magie in einer Welt, über die er noch nichts weiß.  Die hier genannten fiktiven Umstände können später in der Geschichte durchaus spannend und interessant sein.  Doch zunächst muss man den Leser abholen und mit Dingen interessieren, die ihm gleich etwas sagen.

Im Beispiel von oben wäre es vermutlich fesselnder, wenn bei der Prozession etwas passiert (jemand rennt hindurch, reißt Fahnenträger um) oder die handelnden Figuren näher beschrieben werden (an der Spitze läuft die Protagonistin, die schon morgen ihre Abschlussprüfung haben wird und sich darauf freut, dann in ihre Heimatdorf als Dorfzauberin zurückzukehren).

Besonders Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten leiden oft darunter, dass viele Dinge vorkommen, die der Leser noch nicht kennt und die ihm früher oder später erklärt werden sollen – schließlich will man sich die ganze Arbeit mit den Hintergrundinformationen ja nicht umsonst gemacht haben.  Doch man sollte bei allen Informationen gründlich überlegen, wann man sie dem Leser nennt und ob sie überhaupt genannt werden müssen.

Im Zusammenhang mit Anfängen ist der klare Rat: besser später erklären.  Zunächst sollte man die Handlung der Geschichte vorantreiben.  Wenn diese auf Umständen basiert, die der Leser dann noch nicht versteht, ist das nicht unbedingt schlimm.

An der Spitze der Prozession lief die Adeptin Marja, die schon morgen ihr Wak-Ba haben würde. Vor lauter Vorfreude grinste sie über das ganze breite Gesicht. Ihre Arme schmerzten vom stundenlangen Halten der Fahnenstange, doch das machte ihr nichts aus, denn sie wusste, dass sie in drei Tagen wieder in Ral-Dorr sein und ihre Familie wiedersehen würde. Die furchtbaren Streitereien der Häuser rund um Kronoch konnte sie dann endlich hinter sich lassen.

Der Teil der Erzählung, der den Leser sofort interessieren kann (Figuren und ihre Ambitionen), wird hier besser vorangetrieben, gewisse Ausblicke und Schlaglichter auf noch Unbekanntes geworfen, wodurch der Leser vordergründig die Handlung erfährt und im Hinterkopf Fragen behält.  (Was ist ein Wak-Ba?  Welche furchtbaren Streitereien sind da gemeint?  Was sind die Häuser rund um Kronoch?)  Einige Dinge werden auch gleich indirekt geklärt (Ral-Dorr ist, wo ihre Familie lebt, also wohl ihr Heimatort).

Infodumps kann man auch umgehen, indem man ungebildete Figuren sich mit gebildeteren Figuren unterhalten lässt.  In den sich entspinnenden Dialogen kann man oft auf sehr elegante Weise die wichtigen Dinge klären und bei denen, die man dem Leser vorenthalten will, Wissenslücken bei der gebildeteren Figur einbauen:

»Aber wie funktioniert dieser Hyperraumantrieb?«

»Genau weiß ich das auch nicht, aber jedes der Raumschiffe hat ein Lager für Treibstoffzellen und so einen Raumverzerrer, die großen sogar mehrere davon.«

»Und mit dem Raumverzerrer kommt man in den Hyperraum?«

Er zuckte mit den Achseln. »Ich vermute schon, ja. Den Hyperraum hat man ja auch im vierundzwanzigsten Jahrhundert entdeckt, und zwar ganz kurz nach den Raumverzerrern. Das wär schon ein ziemlicher Zufall, wenn es da keinen Zusammenhang gäbe. Aber offiziell sagen die Hersteller nichts dazu. Das ist alles Geheimtechnologie.«


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