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4.6.1 Rückblicke

Die sprachlichen Regeln zum Formulieren von Rückblicken werden genauer unter 4.3 Rückblicke beschrieben.


Es gibt die große Versuchung, die Ereignisse, die zu der aktuellen Situation geführt haben, als Rückblick zu erzählen, um so die vermeintliche Irritation zu verringern.

Mitten in der Nacht schlichen sich die drei dunkel gekleideten Gestalten an die Villa heran. Sie huschten von Busch zu Busch, bis sie schließlich an der Hauswand ankamen und durch ein offenstehendes Kellerfenster eindrangen. Den ganzen Tag hatten die drei schon mit der Planung und Besorgung von Werkzeugen verbracht. Gegen Abend hatten sie dann ein Auto aufgebrochen und waren losgefahren. Trotz eines Staus und einer ungeplanten Rast waren sie rechtzeitig bei der Villa eingetroffen und hatten sie noch etwa eine Stunde observiert. Schließlich hatten sie die dunkle Tarnkleidung angezogen und waren losgegangen. Im Keller angekommen zogen sie jetzt ihre Sturmhauben aus und gingen vorsichtig durch die dunklen Gänge zum Treppenhaus.

In diesem Text ist ein Großteil Rückblick, der erzählt, was vor der aktuellen Situation geschehen ist.

Neben all den Problemen, die unter 4.3 Rückblicke schon beschrieben sind, nimmt das dem Text die Dynamik.  Die ersten zwei Sätze bauen eine spannende Situation auf, aber die nächsten drei reißen uns gleich wieder raus und beschreiben einen vergleichsweise langweiligen Tag.

So ein Rückblick hilft der Geschichte nicht auf die Beine, sondern bremst sie aus.

Dabei muss der Rückblick nicht so früh kommen wie in dem überkurzen Beispiel oben.  Ein solch störender Rückblick kann auch auf den ersten Seiten oder in den ersten Kapiteln vorkommen.  Ob er störend ist oder nicht, hängt davon ab, wie lang er ist und an welcher Stelle er kommt.  Wenn die erste spannende Szene abgeschlossen ist, die Villa zum Beispiel ausgeraubt ist und die Protagonisten wieder zu Hause sitzen und die Beute aufteilen, dann kann ein Rückblick gut platziert sein.

Ebenso spielt eine große Rolle, ob die im Rückblick erzählten Ereignisse wichtig sind für die aktuelle Situation, ob sie etwas beitragen.  Den Einbruch aus dem Beispiel oben versteht man sicher auch ohne den Rückblick über die Vorbereitungen.

Aber das kann auch anders sein:

Mitten in der Nacht schlichen sich die drei dunkel gekleideten Gestalten an die Villa heran. Sie huschten von Busch zu Busch, bis sie schließlich an der Hauswand ankamen und durch ein offenstehendes Kellerfenster eindrangen. Einer der drei hatte vor wenigen Minuten die Sprengladungen für den Tresorraum eingesteckt und dabei nicht bemerkt, dass er versehentlich die Zeitzünder schon aktiviert hatte. Jetzt liefen die kostbaren vier Minuten schon. Im Keller angekommen zogen sie ihre Sturmhauben aus und gingen vorsichtig durch die dunklen Gänge zum Treppenhaus.

Nicht nur, dass der Rückblick deutlich kürzer ist – er erzählt uns auch etwas, das die Spannung steigert, weil es tatsächlich von Bedeutung für die akute Situation ist.

Natürlich kann dieselbe Handlung auch ganz ohne Rückblick erzählt werden:

Die drei Gestalten stiegen mitten in der Nacht aus dem Auto aus und zogen die dunkle Tarnkleidung an. Einer hatte die Sprengladungen für den Tresorraum und steckte sie in die Tasche, wobei er versehentlich den Schalter für die Zeitzünder aktivierte. Während die kostbaren vier Minuten bereits liefen, schlichen die Männer sich durch eine kleine Parkanlage an eine Villa heran. Sie huschten von Busch zu Busch, bis sie schließlich an der Hauswand ankamen und durch ein offenstehendes Kellerfenster eindrangen. Im Keller zogen sie ihre Sturmhauben aus und gingen vorsichtig durch die dunklen Gänge zum Treppenhaus.

Durch einen Rückblick kann man asynchron erzählen, also in einer Reihenfolge, die nicht dem Handlungsablauf entspricht.  Das kann einer Geschichte helfen, ihr mehr Spannung geben.  Unbeholfen eingesetzt schadet es aber eher.

Eine weitere große Klasse von ungeschickten Rückblicken bezieht sich auf den Hintergrund von Figuren:

Mitten in der Nacht schlichen sich die drei dunkel gekleideten Gestalten an die Villa heran. Sie huschten von Busch zu Busch, bis sie schließlich an der Hauswand ankamen und durch ein offenstehendes Kellerfenster eindrangen. Im Keller angekommen zogen sie ihre Sturmhauben aus. Das angespannte Gesicht des Anführers Jeff kam zum Vorschein. Er war schon mit neunzehn zum Militär gegangen und hatte dort eine Ausbildung zum Scharfschützen absolviert. Doch ihm hatte die Armee auf lange Sicht nicht zugesagt. Der Sold war ihm immer zu wenig gewesen. Ihm war schließlich der Gedanke gekommen, dass er mit seinen Fähigkeiten auf andere Weise sicherlich mehr Geld machen konnte, und so hatte er sich mit den beiden anderen, Erik und Patrick, angefreundet.

Wo waren wir noch mal?  Ach ja, bei einem spannenden Einbruch.

Solche Hintergrundgeschichten sind gut, aber sie müssen auch gut in der Erzählung platziert werden, und nicht alles gehört gleich an den Anfang.  Am Anfang einer Geschichte müssen vor allem interessante Fragen aufgeworfen werden, die den Leser fesseln und auf die er eine Antwort haben will.  Fragen wirft man aber mit viel kleineren Hinweisen auf, nicht mit kompletten Hintergrundgeschichten.

Mitten in der Nacht schlichen sich die drei dunkel gekleideten Gestalten an die Villa heran. Sie huschten von Busch zu Busch, bis sie schließlich an der Hauswand ankamen und durch ein offenstehendes Kellerfenster eindrangen. Im Keller angekommen zogen sie ihre Sturmhauben aus und gingen vorsichtig durch die dunklen Gänge zum Treppenhaus. Seit seiner Scharfschützenausbildung hatte Jeff, der Anführer der drei, keinen solchen Zugriff mehr geübt.


Nächster Abschnitt:  4.6.2 Perspektivwechsel

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