4.5 Anreden
Anreden in Geschichten können von verschiedenen Personen erfolgen, und es können verschiedene Personen angesprochen werden:
- Der Erzähler redet an:
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Der Erzähler redet den Leser direkt an.
Das kommt bei auktorialen Erzählern vor und ist in Kinderbüchern ein häufiges Phänomen:Diese Geschichte soll von einem Drachen handeln. Ich möchte dir aber keine Angst machen, deswegen erzähle ich erst einmal von einem ganz kleinen Drachen.
Wenn Sie jetzt glauben, dass der Mörder einfach so davongekommen wäre, irren Sie sich.
Habt ihr schon erkannt, warum der Hase nicht mehr aus seiner Höhle konnte?
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Der Erzähler redet eine Figur (oder mehrere) an.
Das ist ein eher seltenes Stilmittel, findet sich aber auch hin und wieder in Kinderbüchern. Der auktoriale Erzähler fordert Figuren auf, bestimmte Dinge zu tun, oder warnt sie vor Gefahren:Nun los, kleiner Igel! Mach dich auf deinen Weg hinaus in die Welt und erkunde den Wald! Und wenn du dich zu sehr fürchtest, komm wieder zurück in deine Höhle unter der dicken Wurzel!
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Eine Figur redet eine andere Figur an (oder mehrere):
»Komm mal her, Tomas!«, rief Marion quer durch die Lagerhalle. »Hier hast du etwas übersehen!«
»Setzen Sie sich schon einmal, ich bin gleich bei Ihnen.« Der Kommissar wies auf den schlichten Stuhl und holte sich etwas zu schreiben aus einer Schublade.
»Mein König, Ihr werdet diesen Krieg nicht überleben. Habt Ihr Euch schon mit Eurer Nachfolge befasst? Keiner Eurer Söhne scheint mir geeignet, Euren Krieg für Euch fortzuführen.«
»Werte Herren! Nach dem Bankett erwartet Euch noch die Darbietung einer Tänzerin aus dem fernen Orient!«
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In der Erzählung wird ein Brief zitiert:
»Zeig mal her!«, sagte Marion, nahm Tomas den Brief aus der Hand und las leise murmelnd: »›Lieber Tomas, Du warst immer sehr fair zu mir, aber dennoch muss ich Dir leider diese Kündigung schicken, da ich mich gesundheitlich nicht mehr in der Lage sehe, die Aufgaben in Deiner Firma …‹ – Spinnt der?!« Marion war außer sich.
Anreden können also in verschiedenen Varianten in Geschichten vorkommen. Eine Schwierigkeit dabei ist die Groß-/Kleinschreibung der Anredepronomen.
Grundsätzlich werden Satzanfänge natürlich großgeschrieben – ich gehe hier nur auf die restlichen Fälle ein.
4.5.1 Duzen
Beim familiären Duzen werden grundsätzlich die verwendeten Pronomen du, dir, dein usw. kleingeschrieben. Das gilt ebenso für die Fälle in der Mehrzahl, d. h. wenn mehrere Personen angesprochen werden: ihr, euch, euer usw.:
Hast du schon entdeckt, was der Hase heute zu fressen gefunden hat?
»Tomas, du musst hier noch unterschreiben. Mach es lieber gleich, sonst fehlt dir das Dokument nachher bei deinen Verhandlungen mit Peter und du ärgerst dich.«
»Liebe Freunde, es ist schön, dass ihr alle heute kommen konntet. Ich wollte euch nicht umsonst herbitten, doch es soll auch zu eurem Vorteil sein, dass ihr jetzt alle hier seid.«
Es gibt zur Kleinschreibung beim Duzen in Erzählungen nur eine einzige Ausnahme, und das ist beim Zitieren eines Briefes. Da in Briefen die Anredepronomen großgeschrieben werden können, würde dies auch im Zitat so geschehen:
Der Brief war nur kurz: »Lieber Peter, Du hast mich sehr enttäuscht. Dein Verrat hat mir das Herz gebrochen. Die Zusammenarbeit mit Dir möchte ich deshalb beenden und Dich nie wiedersehen. Tomas.«
Anreden des Erzählers an den oder die Leser fällt aber nicht unter diese Regel, da eine Geschichte kein Brief ist. Die angesprochene Leserschaft ist kein festgelegter und dem Schreiber bekannter Empfänger, daher werden solche Anreden grundsätzlich kleingeschrieben:
Ich will dir eine Geschichte erzählen, also setz dich hin und spitz die Ohren!
Keiner von euch wird je vergessen, was ich euch jetzt erzählen werde, selbst wenn ihr hundert Jahre alt werdet!
4.5.2 Siezen
Das formelle moderne Siezen ist die Anrede mit der 3. Person Plural und wird immer großgeschrieben. Sie, Ihr, Ihnen – alle Pronomen werden beim Siezen immer großgeschrieben. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob eine Person oder mehrere angesprochen werden:
»Kommen Sie, meine Damen! Wir führen Ihnen gerne unsere neueste Kollektion vor, um Sie mit den notwendigen modischen Accessoires für Ihre Abendgarderobe auszustatten.«
»Wir werden Sie sehr vermissen, Herr Schmidt. Auf Sie war immer Verlass, mit Ihnen konnte man Pferde stehlen und Ihr Scharfsinn hat uns immer beeindruckt.«
4.5.3 Ihrzen
Das antiquierte formelle Ihrzen ist die Anrede mit der 2. Person Plural und wird wie das Siezen immer großgeschrieben. Auch das Ihrzen kann auf einzelne Personen oder auf Gruppen angewendet werden.
»Kommt, edle Damen! Diese Darbietung ist nur für Euch – Ihr müsst sie Euch ansehen!«
»Wir werden Euch sehr vermissen, Graf von Graustein. Auf Euch war stets Verlass, mit Euch war der Sieg nie weit, und von Eurer Treue wird man noch in Jahrhunderten sprechen!«
Zweifelsfälle
In manchen Fällen ist Duzen von Ihrzen nur am Schriftbild zu unterscheiden, weil das eine groß- und das andere kleingeschrieben wird:
»Kinder, kommt aus euren Verstecken! Jetzt habt ihr lange genug gespielt.«
»O Feinde! Kommt aus Euren Verstecken! Jetzt habt Ihr lange genug gezaudert!«
Das Ihrzen ist hin und wieder vom Duzen auch gar nicht unterscheidbar, nämlich wenn die Großschreibung als Kriterium nicht in Frage kommt (Satzanfang) oder wenn gar kein Pronomen vorkommt:
»Hört meinen Schwur!«
»Ihr müsst mir glauben!«
Nächster Abschnitt: 4.6 Schwierigkeiten von Anfängen
Ein Sonderfall zum Duzen/Ihrzen ist mir noch untergekommen:
AntwortenLöschenEine Figur spricht mehrere andere anwesende Figuren an, von denen sie einige üblicherweise duzen und andere ihrzen würde. Beispiel: Die Baroness spricht den Bischof sowie seinen Diener an. Den Bischof würde sie ihrzen, den Diener duzen. Spricht sie jetzt beide gleichzeitig an, dann sagt sie zum Beispiel: »Ich wünsche, Euch/euch [beiden] noch alles Gute!« In diesem Fall ist an der Lautsprache nicht zu unterscheiden, ob sie duzt oder ihrzt. Aber für eine Variante muss der Autor sich entscheiden. Nutzt er das Duzen (»euch«), dann duzt die Baroness frecherweise den Bischof. Nutzt er das Ihrzen (»Euch«), dann adelt die Baroness den Diener unangemessen durch das Ihrzen.
Was besser passt, hängt in solchen Fällen vom Kontext ab. Im Zweifel würde ich das Ihrzen (also die Großschreibung) empfehlen.