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4.3.2 Geschachtelte Rückblicke

Es kommt vor, dass man in einem Rückblick etwas berichten will, das noch vor diesem Rückblick lag:

Tomas war schon lange Firmenchef. Er hatte die Firma von seinem Vater übernommen, dann erweitert und schließlich durch Fusionen als Marktführer etabliert.

Er schluckte damals die Brim AG und trieb die Ludersdorfer Werke in den Ruin, und schließlich machte er sich mit einem komplizierten Plan daran, den letzten Platzhirsch in der Region anzugreifen. Dabei kam ihm zugute, dass er noch immer Kontakt zu Peter aus dem Studium hatte. Seine Studienarbeit hatte er gemeinsam mit Peter verfasst, und darin war es um Mechanismen der Marktverdrängung gegangen. Einige der dort erörterten Methoden konnte er jetzt gut gebrauchen und holte sich deshalb seinen alten Kommilitonen wieder mit ins Boot. Doch es dauerte noch einige Jahre, bis er endlich auch die alten Zementwerke aufkaufen konnte.

Heute war er endlich zufrieden mit sich und der Welt. Nur das aufgebaute Monopol ließ ihn nachts gut schlafen.

Noch einmal zur Verdeutlichung:

  • Tomas ist jetzt Firmenchef.
  • Tomas hat früher andere Firmen vom Markt verdrängt.
  • Tomas hat noch davor mit Peter studiert.

Die deutsche Sprache bietet kein geeignetes Mittel, um solche Sachverhalte adäquat auszudrücken.  Ich habe es in dem Text oben dennoch getan, indem ich die äußeren Rückblick (Firmen verdrängen) ins Präteritum habe wechseln lassen und dann den inneren Rückblick (Studium, oben unterstrichen dargestellt) wieder im Plusquamperfekt formuliert habe.

Doch wir sehen schon, wie kompliziert das wird.

Ich rate deshalb dazu, solche geschachtelten Rückblicke generell zu vermeiden.

Alternativen

Natürlich sind Umstände bisweilen kompliziert.  Sachverhalte wie der o. g. mit Tomas, der mit Peter studiert hat, dann eine Firma übernommen und die Konkurrenz verdrängt hat und sich jetzt in sein Büro begibt und dort Kaffee trinkt, sind nicht einmal ungewöhnlich.  Eine gute Geschichte steht und fällt geradezu mit ihren Figuren, deren Charakterisierung und Hintergrund.  Die Alternative kann und soll also nicht lauten, die Geschichten flacher zu machen.

Es geht vielmehr darum, die Komplexität der Geschichte in eine Form zu bringen, sodass man dem Leser alles Relevante vermitteln kann, ohne ihn dabei mit überbordender Grammatik und endlosen hatte-Kaskaden zu vergraulen.

Was kann man also tun, um die Geschichte in ihrer Komplexität möglichst einfach zu erzählen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die aber alle damit arbeiten, dass die Erzählung an sich umgestellt werden muss.  Welche Alternative für welche Geschichte am geeignetsten ist, muss einzeln entschieden werden.

Linear erzählen

Das geht auf verschiedene Weisen.  Man kann die Erzählung der Geschichte mit dem Studium beginnen, bei dem Peter und Tomas sich begegnen, dann beschreiben, wie Tomas die Firma übernimmt, die Konkurrenz verdrängt und schließlich in seinem Büro Kaffee trinkt.

Doch das ist in vielen Fällen keine gute Lösung.  Die eigentliche Geschichte soll ja die sein, wo Tomas Kaffee trinkt und da irgendetwas Interessantes geschieht.  Studium und Verdrängung der Konkurrenz sollen ja nur Hintergrund für die Figur Tomas sein.  Erzählt man also zunächst das Studium, dann fängt man dort mit einer Figur mit wenig Hintergrund an.

Man kann aber auch nur den Rückblick linear erzählen:

Tomas kam in sein Arbeitszimmer und nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine gleich mit zu seinem Schreibtisch, wo er seinen Pott wieder vollgoss. Sein Vater hatte die Firma gegründet und aufgebaut, doch richtig gewachsen war sie erst unter Tomas’ Führung.

Schon vor vielen Jahren im Studium mit seinem Freund Peter interessierte er sich für Strategien zur Marktverdrängung. Später übernahm er die Firma von seinem Vater, erweiterte sie und begann, die Konkurrenz auszuschalten. Er schluckte die Brim AG und trieb die Ludersdorfer Werke in den Ruin, und schließlich machte er sich mit einem komplizierten Plan daran, den letzten Platzhirsch in der Region anzugreifen. Peter holte er wieder mit ins Boot, denn einige der Methoden aus ihrer gemeinsamen Studienarbeit konnte er jetzt gut gebrauchen.

Doch es hatte noch einige Jahre gedauert, bis er endlich auch die alten Zementwerke hatte aufkaufen können.

Heute war er endlich zufrieden mit sich und der Welt. Nur das aufgebaute Monopol ließ ihn nachts gut schlafen.

Die Geschichte mit Peter, dem Studium und der gemeinsamen Studienarbeit ist an den Anfang des Rückblicks gerutscht, wo sie zeitlich auch hingehört.  Mit dem Signalwort vor vielen Jahren wird angezeigt, dass wir uns trotz Präteritum noch immer im Rückblick befinden, gegen Ende wird kurz ins Plusquamperfekt gewechselt, mit dem Signalwort heute wird geklärt, dass der Rückblick beendet ist.


Eine weitere Möglichkeit, die Ereignisse linear zu erzählen, besteht darin, sie an verschiedenen Stellen in der Erzählung unterzubringen.  Zunächst könnten nur das Studium, Peter und die Studienarbeit erwähnt werden ohne konkreten Bezug zur akuten Situation:

Tomas traf sich an diesem Abend mit seinen alten Freund Peter. Während ihres Studiums hatten sie eine gemeinsame Studienarbeit zu Strategien der Marktverdrängung verfasst und auch später hatten die beiden noch zusammengearbeitet.

Wenn dann später (z. B. in einem anderen Kapitel) das Ausschalten der Konkurrenz erzählt wird, wäre die alte Geschichte schon bekannt und könnte organisch einfließen:

Tomas kam in sein Arbeitszimmer und nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine gleich mit zu seinem Schreibtisch, wo er seinen Pott wieder vollgoss. Sein Vater hatte die Firma gegründet und aufgebaut, doch richtig gewachsen war sie erst unter Tomas’ Führung. Er hatte die Firma von seinem Vater übernommen, dann erweitert und begonnen, die Konkurrenz auszuschalten.

Er schluckte damals die Brim AG und trieb die Ludersdorfer Werke in den Ruin, und schließlich machte er sich mit einem komplizierten Plan daran, den letzten Platzhirsch in der Region anzugreifen. Peter holte er wieder mit ins Boot, denn einige der Methoden aus ihrer Studienarbeit konnte er jetzt gut gebrauchen.

Doch es hatte noch einige Jahre gedauert, bis er endlich auch die alten Zementwerke hatte aufkaufen können.

Heute war er endlich zufrieden mit sich und der Welt. Nur das aufgebaute Monopol ließ ihn nachts gut schlafen.

Diese Methode hat den Vorteil, dass man dem Leser die Möglichkeit bietet, etwas zu verstehen.  Wenn so ein Text funktioniert, löst die zweite Stelle eine Erinnerung an die erste aus, es fällt ein sprichwörtlicher Groschen beim Leser, was als angenehm empfunden wird.

Salamitaktik

Statt linear zu erzählen kann man komplexe Sachverhalte wie geschachtelte Vorgeschichten auch scheibchenweise an den Leser herausreichen.  Das würde in unserem Fall bedeuten, dass man zunächst den Rückblick auf das Verdrängen der Konkurrenz liefert und darin Peter erwähnt, aber noch nicht, was es mit Peter auf sich hat:

Tomas kam in sein Arbeitszimmer und nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine gleich mit zu seinem Schreibtisch, wo er seinen Pott wieder vollgoss. Sein Vater hatte die Firma gegründet und aufgebaut, doch richtig gewachsen war sie erst unter Tomas’ Führung. Er hatte die Firma von seinem Vater übernommen, dann erweitert und begonnen, die Konkurrenz auszuschalten.

Er schluckte damals die Brim AG und trieb die Ludersdorfer Werke in den Ruin, und schließlich machte er sich mit einem komplizierten Plan daran, den letzten Platzhirsch in der Region anzugreifen. Dafür holte er seinen Freund Peter mit ins Boot, denn einige der Methoden aus ihrer gemeinsamen Studienarbeit konnte er jetzt gut gebrauchen.

Doch es hatte noch einige Jahre gedauert, bis er endlich auch die alten Zementwerke hatte aufkaufen können.

Heute war er endlich zufrieden mit sich und der Welt. Nur das aufgebaute Monopol ließ ihn nachts gut schlafen.

Später in der Erzählung:

Tomas traf sich an diesem Abend mit Peter. Schon während ihres Studiums hatten sie eine gemeinsame Studienarbeit zu Strategien der Marktverdrängung verfasst. Die darin beschriebenen Mechanismen hatten ihnen später beim Schlucken der alten Zementwerke geholfen.

Die Salamitaktik wirft Fragen auf, lässt Dinge im Dunkeln und den Leser immer wieder mit einem Fragezeichen zurück.  Prinzipiell ist das eine gute Idee, sofern solche Dinge den Leser auch tatsächlich interessieren.  Bei einem Krimi oder einem Thriller kann es sich großartig machen, wenn man auf diese Weise Stück für Stück rückwärts erfährt, wie es zu einem Schlüsselmoment der Geschichte gekommen ist und wer im Endeffekt der Auslöser für die Ereignisse war.  In einer Liebesgeschichte ist so etwas vielleicht eher unangebracht.

Man sollte also gut überlegen, ob es überhaupt zum Genre passt.  Man sollte es auch nicht übertreiben und für jede Kleinigkeit neue Fragen aufwerfen.  Es kann auch sehr frustrierend für Leser sein, wenn sie hinter einem geheimnisvollen Umstand etwas Bedeutsames vermuten und dann später nur eine Banalität als Auflösung bekommen.

Im Extremfall kann man auch eine Kette von Dingen in gewürfelter Reihenfolge präsentieren, sodass der Leser sich die Ereignisse am Ende selbst zusammenstellen muss.

Dialoge

Neben der guten Möglichkeit, die Ereignisse von geschachtelten Rückblicken linear oder abschnittsweise verstreut zu erzählen, gibt es noch die Option, sie gar nicht selbst zu erzählen, sondern die Figuren sich unterhalten zu lassen und dadurch alle Umstände zu klären.  Bei dieser Methode hat man auch den großen Vorteil, problemlos etwas unterschlagen zu können, ohne dass der Leser sich deswegen betrogen fühlen wird.  Es war ja nur die Figur, die Dinge verschwiegen hat, nicht der Erzähler.

»Gib mir mal den Stapel da«, sagte Marion und zeigte auf einige Akten am anderen Endes des Schreibtischs.

Tomas nahm nur den oberen Teil und reichte ihn ihr herüber.

Marion blätterte interessiert durch die Akten. »Was ist das hier? Das sieht alt aus.« Sie hob ein paar Blätter an und las abwesend die darunter.

»Das ist aus der Zeit, als ich die Firma übernommen habe. Ich wollte es einmotten lassen.«

Marion schaute verblüfft auf. »Einmotten?«

Tomas wand sich. »Es sollte nicht in den Geschäftsunterlagen auftauchen.«

»Warum denn das nicht?«

Tomas schaute zum Fenster hinaus, dachte nach. »Wir haben damals nicht besonders fein agiert, um die alten Zementwerke zu übernehmen«, sagte er schließlich.

»›Wir‹?«, fragte Marion.

»Hm. Ja, Peter und ich. Ich hab mit ihm im Studium eine Strategie zur Marktverdrängung von Konkurrenz entwickelt. Ich hab ihn in die Firma geholt, als das mit den Zementwerken ein Problem wurde.«

»Ihr habt diese Ideen aus dem Studium umgesetzt?«

Tomas schaute wieder zu Marion und deutete auf die Akte in ihrer Hand. »Ja, das ist die Studienarbeit, die wir gemeinsam geschrieben haben.«


Nächster Abschnitt:  4.4 Ausblicke (Konjunktiv)

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